GedankenSplitter 2022
Loyalität
Gerade lese ich ein Buch über Freundschaft.
Als schwuler Mann komme ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, was für mich eigentlich der höchste Wert innerhalb dieser ist.
Gerade für queere Menschen ersetzt sie häufig das Konstrukt der Ehe und je nach Ausgang des #outing schließlich auch die Familie.
Um so wichtiger ist es, sich mal Gedanken darüber zu machen, was an ihr eigentlich entschieden wichtig ist.
Und noch bevor ich mein Umfeld befrage weiß ich die Antwort bereits: Loyalität.
Ja ich bin so altmodisch, dass mir Werte wie Loyalität, Haltung, Rückgrat, Ehrlichkeit und im Prinzip jede Eigenschaft, welche auf einen so genannten integren Charakter hindeutet, etwas bedeutet.
Aber dies scheint aus der Mode gekommen zu sein.
Man wird außerordentlich fristlos gekündigt und sogenannte beste Freunde gehen weiter unbedarft dort trinken, wo Du einst ausgeschenkt hast.
Kann man da wirklich sagen: „Gut dürfen sie natürlich auch?“ Muss man nicht sogar sagen: „Niemand hat das Recht, jemand anderen vorzuschreiben, was er zu tun hat oder auch nicht.“
Im Prinzip ja. Wenn man den alten Fritz lebt und seine Facon vom selig werden, dann gilt: „Jeder wie er will.“
Und zugleich ist diese Denkweise keine Einbahnstrasse.
Um es deutlich zu sagen: Ich darf mir auch aussuchen mit wem ich befreundet bin beziehungsweise sein möchte oder auch nicht mehr.
Im Gegensatz zur Ehe muss man nicht mal zu Gericht um sich scheiden zu lassen. Dafür reicht eine einseitige nicht mal laut geäußerte Willenserklärung.
Anders formuliert: Auf Verrat kann ich und will ich nicht.
Mag sein, dass das alles etwas mit meinen norddeutschen Wurzeln zu tun hat.
Aber am Ende bleibe ich dabei, es zählen Charakter & Haltung.
Bye the way: Trinkt doch erstmal noch einen Kessler oder vier in der Bar eures Vertrauens.
Bestätigt euch gegenseitig darin, dass ihr richtig handelt.
Mit jedem Kessler weiß ich, dass mein Schweigen in eure Richtung das Beste ist, was ich je mit euch gesprochen habe.
#gedankensplitter
HandyDetox
Endlich schreibt der Kalender Anfang August 2022 - von meinem Sylturlaub trennt mich nur noch die Hochzeit einer guten Freundin im Schwarzwald. Womit ich nicht gerechnet hatte: Dieser Tag wurde zum puren „HandyDetox“.
Man könnte auch sagen, wo kein Empfang, da keine Ablenkung.
Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass es in Deutschland überhaupt noch Orte gibt, wo es nicht um die Frage 4G oder 5G geht, sondern ob überhaupt ein E samt Netzbalken auf dem Display erscheint - nun weiß ich es besser.
Und was passiert? - Die Gäste, welche von Bremen bis Zürich angereist sind, nutzen die Gunst der Stunde für gute Gespräche.
Dankbar über die neu gewonnene Gewissheit, dass man es noch kann - den guten Dialog - fühlt man sich dennoch fast wehmütig an die Vorzüge des letzten Jahrtausends erinnert, als genau dies gängige Lebenspraxis gewesen ist.
Eins der interessantesten Gespräche führte ich mit Max. Wir unterhielten uns über die Stuttgarter Quadratur des Kreises - nicht die Suche sondern das Finden einer neuen bezahlbaren Wohnung.
Max suchte zwar nicht mit Moritz aber mit seinem Kumpel eine neue Bleibe für ihre WG. Während ich noch darüber nachdachte, dass die beiden als zwei weiße Männer ja von Geburt an mit einem deutlichen Privilegierungsvorteil auf dieser Welt unterwegs sind, wäre ich beinahe von der Bank gekippt.
Wer kann auch damit rechnen, dass HeteroMänner auf WG-Suche in der Hauptstadt der Kehrwoche diskriminiert werden. Ob man zwei Junggesellen die Haushaltsführung nicht zutraut kann ich nicht beurteilen, was ich aber nicht vorenthalten möchte ist Max Lösung für das Problem.
Kurzerhand wurde aus den HeteroWGkumpeln ein schwules Paar, welches einen Mietvertrag in begehrter Marienplatzlage unterzeichnete.
Während mich der Zug gen Hamburg bringt, komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob es eigentlich ok ist, wenn Heteros sich als schwul ausgeben und dadurch Vorteile „abgreifen“. Ist so ein Verhalten ein Verrat an allem, wofür wir gekämpft haben oder zeigt es, wie etabliert und gesellschaftsfähig wir Schwulen geworden sind.
Immerhin kennt er Grindr, was bei mir aber auch noch die Frage aufwirft: Woher eigentlich? - Es besteht Hoffnung.
#gedankensplitter
200 Tage
Stell Dir vor, Du beschließt ein Buch zu schreiben. Die Welt schenkt Dir Monate des Stillstehens und Du nutzt genau diese Zeit und setzt Dich Tag ein, Tag aus hin und schreibst. Du schreibst und schreibst. Du hast das unendliche Glück zauberhafte Menschen zu kennen, die dein Projekt unterstützenswert finden und somit Lektorat, Korrektorat, Buchcover und das Setzen des Textes werden bezahlbar.
In Deinem Sylturlaub vor der Veröffentlichung lernst Du durch Zufall jemanden kennen, der sich mit Büchern auskennt und der Dir das perfekte Cover erklärt. Das richtige Foto besitzt Du aus einem Shooting mit einer befreundeten und begnadeten Fotografin.
Welch unbeschreibliches Glück hat sich da am laufenden Band ereignet.
Ich möchte bewusst allen Beteiligten einfach so nochmals danken. Denn auf dieser Welt wird zu viel gemeckert und zu wenig gedankt.
Mein Buch: einfach!ch schwul.bipolar.positiv. gibt es mittlerweile knapp 200 Tage. Umgerechnet habe ich deutlich mehr als ein Buch pro Tag verkauft.
Gelesen wird von Antwerpen bis Zürich. Gereist ist es in die Karibik, nach Südafrika, Venezuela und an viele andere Orte dieser Welt.
Ich danke allen für ihr Interesse an meinem Buch und noch viel mehr für das so positive Feedback. Von „lebensbejahend geschrieben“ über „charismatisches Augenzwinkern“ bis hin zu „Du vermittelst einfach eine Haltung, wie man mit Problemen im Leben umgeht.“
Besonders berührt hat mich, wenn Leute sich bei mir bedankt haben, dass ich mit meiner Geschichte den Weg an die Öffentlichkeit gewagt habe um zu entstigmatisieren. Ja auch im Jahr 2022 gibt es Menschen, die in ihrem Leben nicht so befreit über diese Themen reden können.
Möge mein Buch die Gedanken in den Köpfen der Republik anstoßen.
Ich freue mich auf die Lesungen, Begegnungen und Gespräche die ab September vor mir liegen. Euer einfach!ch
#gedankensplitter
Gedankenwaschsalon
Der Zug bretterte über den legendären Hindenburgdamm. Somit stand fest: Reiseziel war Deutschlands schönste Insel - Sylt - . Jeder der mich kennt weiß, es gab gar keine Alternative.
Einmal Gedankenwaschsalon deluxe bitte - nichts anderes brauchte ich nach den letzten anstrengenden Monaten.
Fast ist es ja schon belustigend jeden Tag eine andere Version über den eigenen Weggang zu hören. Traurig wird es, wenn Verleumdung und üble Nachrede nicht mehr nur gestreift werden. Interessant ist und bleibt es, wieviele Menschen auf der einen Seite Opportunisten sind und sich nie wieder bei Dir melden, aber auf der anderen so wenig in ihrem Leben erleben, als dass sie dein Leben zum Topthema ihres Lebens machen.
Wenn am Ende die Aussage: „Ich habe ihn aus der Gosse gezogen und genau dorthin werfe ich ihn zurück. Nichts anderes hat er verdient.“ bleibt fehlen sogar mir, der fast immer zu fast allem Worte findet, genau diese.
Dieser Person fehlen sie nicht - auf der großen Bühne spricht sie davon, dass jeder HIV-Positive Respekt verdient hat. Interessant denke ich mir während ich den schwarzen Luftballon mit der roten Schleife zu Himmel steigen lasse.
In der Zeitungen wird dieser Tage viel über pinkWashing geschrieben, vielleicht sollten sie mal den Mut haben über socialWashing zu berichten anstatt über angebliche Juwelen in Stuttgarts Altstadt.
Und warum Sylt - ganz einfach: Die Nordsee war schon immer die Waschmaschine fürs Gehirn - für die Welt der Gedanken.
Denn im Grunde ist es ja so: Die Leute sind interessiert an dem Gossip. Darüber hinaus möchten sie aber nicht damit belästigt werden, was die Ereignisse aus Dir machen. Maximal ist die Schilderung der Geschehnisse gewünscht aber bitte nicht mehr.
Das man selbst durch die Ereignisse in einen Verarbeitungsprozess eintritt ist für die meisten Menschen zu viel des Mitteilungsbedürfnisses. Dabei fängt es da ja erst richtig an. Und so schaden ein paar Tage Meer niemals - schon Laurent Wolf sang: „wash my world“.
In Anlehnung an die Worte meiner Oma und ihres „Kessel Buntes“ liegen sieben Tage „Buntwäsche“ nun hinter mir - in Deutschlands schönsten Gedankenwaschsalon.
#gedankensplitter
coming soon
Ein altes Sprichwort besagt: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“
Gut denke ich, grundsätzlich hat mir Silber schon immer besser gefallen als Gold und im Übrigen entspricht Reden mehr meinem Naturell.
Was soll ich tun, ich bin ein Norddeutscher Jung und bei uns im Norden ist man mit der Maxime „Butter bei die Fische!“ groß geworden.
Soll heißen: Alles wird von Angesicht zu Angesicht geklärt - auf Augenhöhe. Die verbalen Messer für den Rücken dürfen getrost sauber im Block stecken bleiben.
Diese Art des Umgangs -auch in Krisen- ist meiner Meinung nach der größte Respekt, den man sich entgegen bringen kann.
In 20 Jahren Schwabenland habe ich gelernt, dass es Mentalitäten gibt, die lieber „von Hinten durchs Knie ins Auge“ agieren.
Auch wenn das Schwabenland und ich fast Silberhochzeit feiern - mir sind die gebutterten Fische einfach lieber.
Was, wenn der Grundrespekt fehlt? Wie geht man mit empathielosen Narzissten oder besser Soziopathen im Leben um? Sie begegnen einem hier und da: ob im Bett oder am Arbeitsplatz - treffen kann man sie überall. Konfrontation oder Schweigen? Ist Schweigen im Prinzip Zustimmung oder gibt es sowas wie neutrales Schweigen? Und wie ist das Schweigen mit der persönlichen Haltung zu vereinbaren? Fragen über Fragen.
Am Ende komme ich nicht umhin festzuhalten, dass es Situationen gibt, in denen man laut Schreien möchte und dennoch Schweigt. Manchmal hat man sich einfach noch nicht zu Ende sortiert - ein anderes Mal kommt es auf den richtigen Augenblick an. Wie bei einem Instagrampost gilt das Gesetzt von Zeitpunkt und Wirkung.
Für diese „coming soon“ Momente lässt sich nur sagen: Haltung bewahren - tief ein und ausatmen - und morgen ist auch noch ein Tag.
#gedankensplitter
Punks auf Sylt
„Wir meiden Menschen mit einer anderen Weltanschauung, denn am Ende ist es anstrengend, sich für den eigenen Lebensstil rechtfertigen zu müssen.“
Zu diesem Satz aus dem Buch von Jo Schück „nackt im Hotel“ fallen mir direkt die Punks auf Sylt ein. Hat es eine solche eklatante kognitive Dissonanz auf Deutschlands teuerster Insel jemals zuvor gegeben?
Sicher ist, auf jeden Fall nicht so medienwirksam. Wie die Sau durchs Dorf wurden die Punks durch die Zeitungen und die übrige Berichterstattung rund um das „9 Euro-Ticket“ förmlich auf die Insel getrieben.
Die Folge: Menschen in gammeligen bis zerrissenen Klamotten und bunten Haaren fluten die Fußgängerzone.
Bereits mittags sind diese Juwelen der Schöpfung besoffen oder so „breit“, dass das normale Sprachzentrum fast völlig außer Kraft gesetzt ist - aber nur fast.
Auf ihre Art arbeiten sie schließlich - sie betteln - eher penetrant als charmant.
Während ich auf der Terrasse in Richtung Strandpromenade einen Salat esse und auf den Bentley schaue, der vor dem gegenüberliegenden Hotel parkt ertrage ich in der Endlosschleife „Alle Jahre wieder“ auf dem Akkordeon, begleitet von dem neunköpfigen Chor der schlechten Stimmen und Frisuren.
Dann wird nicht nach ein paar Groschen sondern nach harten Euros verlangt. Einige Gäste geben - ich nur meinen Unmut kund.
Mein Vorschlag, sie dürfen es mal mit vernünftiger Arbeit versuchen wird verlacht. „Sie seien Kinder. Alter wie kannst Du Kinderarbeit von uns verlangen.“ ist ihre Antwort.
Da ist er wieder, einer der seltenen Momente meiner „fast-Sprachlosigkeit“.
Die Störer meiner Ruhe campieren gratis in einer Zeltstadt und haben
in den Brunnen vor dem Rathaus ihre großen und kleinen Geschäfte verrichtet! - bevor man ihnen auf Kosten der Steuerzahler eine Toiletteninfrastruktur zur Verfügung gestellt hat.
Duldung statt Vertreibung - warum sagt niemand bis hierhin und nicht weiter? Scheut man sich vor der ganz großen Negativpresse?
Ernsthaft - die Scheiße schwimmt doch schon im Rathausbrunnen!
Sylt, Du bist Deutschlands „firstclass“ - Insel, also verhalte Dich auch so. Danke.
Ich komme nicht umhin festzuhalten: Kognitive Dissonanz ist anstrengend.
#gedankenwaschsalon
die Königin
Der August 2022 ist vorüber und dieser Sommer war heisser & exzessiver als seine Vorgänger - in Stuttgart noch ein wenig mehr.
Anders gesagt: Der Hexenkessel bebt.
Die Menschen erobern sich ihre Freiheit zurück. In den Clubs und auf der Theo feiern, bis die Wolken wieder lila sind, auf dem Wasen troy|ergeben den Fanta4 lauschen. Alles ist möglich.
Auch der CSD zieht im Namen des Regenbogens so viele Menschen auf die Straße, wie noch nie zuvor.
Jenseits der Grossveranstaltungsrekorde gilt es die kleineren Kulturbühnen nicht zu vergessen. Vor lauter Überangebot ist Überblick nicht in Sicht.
Während auf dem Weindorf die Winzer das Volk mit dem Saft der Trauben bei Laune halten feiert die Stadt fast unbemerkt ein Jubiläum der besonderen Art:
80 Jahre Legenden der Lügen.
Wie keine andere Person gibt es in dieser Stadt jemanden, welche unter dem „Deckmantel des Gutseins“ nur ein Ziel hat: „Publicity oder neudeutsch Fame“.
Doch diese Person ist weder der verlorene Bruder von Robin Hood noch die Neuerfindung von Mutter Theresa.
Der Hofberichterstatter schreibt, was sie wünscht und so könnte man fast sagen: „Es lebe die Königin. Hochlebe die Königin.“
Doch in beinahe 50 Jahren Regentschaft werden sie lauter, die Misstöne aus verschiedenen Ecken des Volkes. Und Volkes Gunst war und ist für Monarchen über-lebensnotwendig.
Das einzige was ihr wirklich fehlt ist Gottes Gnade und eine wahrhafte Krone.
Denn Modeschmuck, ob schlicht oder pompös beschert noch lange keine Immunität.
Und so sitzt sie vor Gericht und droht im Meer ihrer Lügen unterzugehen.
Ich wünsche dennoch nur das Beste - schaue mit einem milden Lächeln gen London und denke:
„Wenigstens eine, die es richtig macht.“
#gedankensplitter
Mogelpackung
Wer dieser Tage durch den Supermarkt wandelt, wird spätestens an der Kasse von der Summe seines Einkaufes erschlagen.
Alles ist einfach teurer geworden - von jetzt auf sofort.
In den Nachrichten sprechen sie von über acht Prozent Inflation. Wenn ich anstatt vierzig sechzig oder gar siebzig Euro bezahlen darf, weiß ich, dass selbst die Nachrichten eine Mogelpackung sind - aber das passt dann ja zum Inhalt des Einkaufswagens.
Im Leben verhält es sich wie mit den Besorgungen. Marketing ist alles: Die attraktiv beworbenen Artikel landen in unseren Händen und somit in unserem Leben.
Weniger toxische Dinge, ohne künstliche Zusatzstoffe dafür mit großer Natürlichkeit und von hoher Qualität, fehlt es an anziehender offensichtlicher Attraktivität.
Die meisten Menschen lassen sich im Supermarkt und im Leben von der Verpackung blenden: Gewinner ist und bleibt die Mogelpackung.
Dies ist und war schon immer so - kein neues Phänomen - aber im Zeitalter der sozialen Medien hat es Konjunktur wie nie.
Ohne Angst, Schrecken oder gar Scham werden einfach 30 Jahre oder mehr auf den Fotos glatt gebügelt, vorhandene Bäuche gestrafft, Zähne gebleicht und weitere Unvorteilhaftigkeiten entfernt.
Manchmal fragt man sich, wie sich diese Herrschaften und Damen überhaupt noch in der Realität zum Austausch von Bussi links und Bussi rechts erkennen?
Was dem einen oder der anderen fehlt ist eindeutig eine App, die den Charakter strafft - aber wer weiß, was die Zukunft bringt.
Die Gegenwart hält genügend LiveEvents bereit - also ausreichend Abende um sich seines Gegenübers wieder gewiss zu werden.
Im Grunde ist es wie im Supermarkt: Wir wissen alle ganz genau, was wir in Händen halten. Es ist so offensichtlich.
Wir brauchen folglich weder hinter die mühsam aufpolierten Fassaden blicken, noch die Packung umdrehen, um auf die Grammzahl zu schauen - die Antworten stehen schon vorher fest.
Was wir müssen: Lernen uns wieder unseres gesunden Menschenverstandes zu bedienen. Und ja, auch wenn unsere Zahlkraft durch Putins Krieg und die damit verursachte Inflation abnimmt, ist es das, was uns bleibt: Unser Verstand. Wir sollten ihn nur häufiger benutzen.
#gedankensplitter
Anduschen
Da stecken wir nun in diesem Herbst 2022 - er ist alles, aber sicher nicht gülden.
Wenn man aus dem Fenster schauen will versperrt die tropfnasse Scheibe bereits den Blick. Über den ganzen Sommer fehlte jeder einzelne Tropfen Regen - nun geht er uns bereits gehörig auf die Nerven.
Aber da ist er nicht alleine. Selten gab es so viele Dinge, die uns gleichzeitig haben so dünnhäutig werden lassen:
Die Coronopandemie befindet sich ohne ein sichtbares Ende bereits im dritten Jahr. Anstatt Entspannung spannt es politisch durch den Putinkrieg gewaltig - weltweit - sogar das Wort „Atomwaffen“ wird wieder inflationär benutzt. Schon sind wir beim alles bestimmenden Thema dieser Tage: Inflation - ob im Supermarkt, an der Zapfsäule oder auf der Gas- & Stromrechnung.
Eine nachhaltige große Lösung - weitgefehlt. Es kommt auf uns alle an, ein Weg der kleinen Schritte. Offiziell wird schon geraten: Waschlappen statt Dusche. Gut das ist dann doch zu viel des Guten.
Aber sich nur noch „Anduschen“ und bis zum „Abduschen“ einfach Wasser aus klingt nach einer guten Zwischenlösung.
Wolldecken anstatt Heizung. Mehr Kultur, weniger Netflix - tut im Übrigen doppelt gut.
Aber wenn wir wirklich etwas ändern wollen müssen wir an die Komfortzone von uns allen heran beziehungsweise gerade aus dieser heraus.
Oder ist alles gar nicht so dramatisch? Das Bier fließt dieser Tage in Maaẞen auf dem Wasen. Das Volk ist schon Nachmittags im Alkoholtaumel - die sogenannte bessere Gesellschaft kommt erst später auf ihre Kosten. Im alten Rom hieß dieses Phänomen „Brot und Spiele“ und dies hielt das Volk schon immer ruhig.
Ein Segen dieses Volksfest. Aber ist es die Lösung oder bedarf es dieser kleinen großen Schritte: Keine innerdeutschen Flüge, Bildung von Fahrgemeinschaften, 9€ Ticket, Verbot von SUVies & Kreuzfahrtschiffen, Coffe & eat to go nur noch im eigenem Geschirr. Und so vieles mehr.
Und was passiert ? Nichts. Denn darin sind wir und die Politiker:innen Weltmeister: Wir sparen uns das Handeln.
#gedankensplitter
Biporlin
Ick liebe Dir und ick lieb’ Dir nicht.
Es gibt Spätsommertage, an denen einen deine schillernde Faszination förmlich einsaugt. In anderen Momenten bist Du so grau, kalt und unbarmherzig, wie keine andere Stadt - es kommt einem förmlich so vor, als ob man einsam gelähmt in seinen Emotionen dahin dümpelt.
Dein Wind weht einem so frisch und eisig mitten ins Gesicht, dass man sich einfach nicht geliebt und geborgen fühlen kann.
Doch dann - jeden Abend aufs Neue - ziehst Du Dir dein hübsches nächtliches Kleid an - Widerstand ist zwecklos. Man wird eins mit dem hektischen Treiben:
Vom Museum zum vertrauten Tresen, über die Buchlesung bis hin zur Vernissage und schlussendlich die (Sex)Party - alles ist immer möglich. Mit anderen Worten: „Berlin is buffet all night long.“ Mit- und Schritthalten fällt nicht einfach.
Menschen kommen und gehen auf diesem Streifzug durch die Nacht, die einen ziehen grußlos weiter, die andere hätten gerne den ein oder anderen Euro nebst Zigarette. Ja Berlin ist arm, aber sexy.
Welch faszinierende Mischung die einhergeht mit der endlosen Party. Was bleibt ist die Frage: „Was habe ich in der Nacht von Freitag auf Montag gemacht?“ Man tut gut daran dies nicht zu hinterfragen. Zu bewusstseinserweiternd dürfte die Antwort ausfallen. In der Schule des Berghain wird der eiserne Grundsatz gelehrt: „Never make decissions on a tuesday.“ - zu sehr gehört der Berliner Dienstag der Hangover Depression.
Und so wechselt diese Stadt nicht nur von Sonne auf Regen - denn grundsätzlich ist fast immer Wind, also Sturm an der Spree.
Die Metropole fordert ein starkes Rückgrat um sie zu überleben.
Auch wenn ein Sprichwort lehrt, bei Gewitter sollst Du Linden finden wird genau unter diesen ein Kripobeamter im Dienst bei der Ankunft des Drogentaxis nebst Ware sichergestellt.
Schwaben & Kinderwagen in PrenzelBerg, die Mitte, die gar keine ist oder das Humboldforum am Platz von Erichs Lampenladen - schade um dieses verpasste Stück Zeitgeschichte - ich glaube die beste Zeit hatte diese Stadt in den neuen Gründerjahren in den Neunzigern.
Und dennoch oder gerade deswegen sage ich: Berlin ick liebe Dir. Ick lieb‘ Dir nicht.
#gesankensplitter
Likes
LIKES
Was hat es nur auf sich mit diesem roten Herzen, dem blauen Daumen oder gar der Umarmung?
Allen gemein ist, dass sie eine kurze aber extrem interpretierbare Meinungsäußerung sind - und dies für alle sichtbar. Es ist also alles, aber kein Vier-Augen-Gespräch.
Auch wenn man nicht zwangsläufig sagen kann, dass unser Leben heute mehr auf Instagram & Facebook als in der Realität stattfindet, muss man sich doch ehrlicherweise eingestehen - alles ist anders.
Ob es früher wirklich besser war sei dahin gestellt. Denn die Liebhaber dieses unbedarften Satzes mögen bedenken: „Früher war“ beinhaltet: „Kein Frauenwahlrecht - § 175 StGB Strafbarkeit der Homosexualität und auch das Dritte Reich“ - das ist alles „Früher“ und wie so vieles andere nicht besser!
Bei der genaueren Betrachtung der Gesamtumstände stellt man fest, dass heute häufig die Realität nur noch „gecontent“ wird - alles Leben dient der Berichterstattung auf Instagram - Marketingmanger:innen soweit das Auge reicht.
Auf leisen Sohlen hat sich ganz nebenbei eine Währung in unserem Alltag geschlichen, die mittlerweile härter ist, als der Euro je sein kann und wird.
LIKES - ob jetzt Daumen hoch, Umarmung oder ein Herz - wir alle lieben sie, ernähren gar unser Gemüt davon und bekommen schlechte Laune wenn sie ausbleiben.
Man mag es kaum glauben aber dieser Daumen hoch geht direkt ins Belohnungszentrum des Gehirns. Wenn er ausbleibt sind wir quasi auf Entzug oder fühlen uns missachtet bis ignoriert.
Und das ist nicht nur bei Narzissten das Schlimmste - das ist die Waffe, die uns bleibt, wenn wir sonst nichts mehr haben.
Und zugleich ist es genau das Radar, was wir ebenfalls besitzen, um die Realität unserer zwischenmenschlichen Beziehungen im Überblick zu behalten.
Denn bleiben sie von heute auf morgen einfach aus, diese „SocialmediaStreicheleinheiten“, dann darf davon ausgegangen werden, dass für die verweigernde Person irgendetwas zwischen „Sturm im Teeglas“ und „Supergau“ stattgefunden hat.
Im Grunde gilt nach wie vor: Im Zweifel lieber mehr Realität, weniger Content aber dafür mehr echte Freundschaften.
Und die kennen keinen „SocialMediaStreicheleinheitenEntzug“ sondern klärende Gespräche. Daumen hoch und Herz auf.
#gedankensplitter
Elektromobilität
Meine Oma sagt: „Wer eine Reise macht, hat eine Geschichte zu erzählen.“ - wie immer hat sie Recht.
Ich lauschte oft ihren Berichten - ob Schiffstour zum Polarlicht oder die erste Flugreise mit 75 Jahren nach Königsberg. Mit über achtzig ging es mit der Bustouristik nochmals nach Dresden in die Semperoper.
Mit fast neunzig war sie unter Protest bereit auf ihren Alltagsbegleiter „Fahrrad“ zu verzichten. Mangels Führerschein kam sie nie in die Verlegenheit sich Gedanken über Sinn oder Unsinn eines E-Autos zu machen.
Ich hingegen kannte sie aus dem Carsharingkonzept der Landeshauptstadt.
So sensationell ich das Konzept und die Verteilung der Stromladesäulen in Stuttgart finde - überzeugt war ich von dieser Art des Antriebs nie.
Ob Batterieproduktion oder die komplizierte Entsorgung - beides kein Grund zu feiern - also mehr greenwashing als Klimaschutz.
Statt Überzeugung gab es eine lukrative Prämie von Vater Staat.
Soweit so gut - aber viel spannender wird es, wenn man sich außerhalb der Großstadt mit einem E-Auto auf die Reise begibt. Was soll ich sagen? Ja Sie ahnen es: Meine Oma hat natürlich Recht. Ich kann ihnen einen Geschichte erzählen. Unlängst begab ich mich mit meinem Vorstandskollegen und seinem E-Twingo auf eine Tour durch Baden Württemberg. Gefühlt standen wir mehr mit dem Stromkabel an einer Ladestation, als das wir uns fortbewegten. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. An einer Ladestation konnten wir nur verweilen, wenn das Stecksystem passte - sprich die mühsam bei Google Maps gesuchten Ladestationen waren meistens die falschen. Die Bedeutung des Beifahrers bekommt eine Renaissance - war er früher das Navigationssystem in Form des Lesens der Autokarte sucht er nun fleißig nach Steckdosen fürs E-Auto.
Während dieses fleißig seine 10% piepend zum Ausdruck bringt steigt der Puls mit dem Herzschlag. Irgendwie haben’s wir dann doch geschafft mit den richtigen Steckdosen - wenn auch nicht immer mit dem pünktlichen Ankommen vor Ort. Was bleibt ist meine Überzeugung, dass Verbrennungsmotoren mit E100 die pünktlichere und klimaschützendere Variante sind. Vom aktuellen Gas-&Stromspargebot habe ich noch gar nicht angefangen.
#gedankensplitter
Prince Charming
Auf RTL+ verfolgte ich heute Nacht die letzten Minuten der vierten Märchenstaffel Charming.
Wenn wir ein Kapitel zurückblättern erinnern wir uns alle an die Neuigkeit des Sommers - die schwule „breaking news“, die jedem Romantiker fast das Herz zerbrach.
Kim hatte sich von Mo getrennt. Eine Trennung von vielen oder doch mehr?
Bei den beiden handelte es sich um das Prinzenpaar aus der dritten Staffel des Hauses von und zu Charming.
Man könnte auch sagen, in unseren Zeiten hat die RTL Group den Füllfeder von den Gebrüdern Grimm übernommen. Was herauskommt sind Märchen, nur leider weder so prachtvoll, noch so lehrreich und seltenst mit einem Happyend versehen.
Anstatt in guter alter GrimmManier gibt es weder eine böse Hexe noch eine unangenehme Schwiegermutter. Die sieben Zwerge wurden kurzerhand durch fünfzehn bis zwanzig Mitstreiter ersetzt. Auf einer Sonneninsel wird das große Drama und die aktuelle Kollektion der Badehosen und Attituden mal mit mal ohne Sixpack vorgeführt.
Und warum bringt eine solche „breaking news“ das eigene Herz schier gar fast zum brechen? Wahrscheinlich bin ich schlicht und ergreifend so traurig, da wieder der Traum vom ganz großen Glück nicht funktioniert hat.
Man hat gehofft und gezittert, gejubelt und sich gefreut und sich irgendwie auch ein stückweit auf diese emotionale Reise eingelassen.
Aber ging es darum überhaupt?
Es ist schon bezeichnend, dass die social-Media Profile dieser Prinzen, die ja eigentlich nur auf der Suche nach der ganz großen Liebe sind, nach dem Finale zu Werbeplattformen verkommen.
Bekommt man anfangs noch einen Einblick in die traute Zweisamkenkeit - lächeleln einen bald nur noch die beworbenen Produkte an. Man wirft sich gegenseitig Fame zu, jeder will noch berühmter werden.
Ja, im hinteren Buchstabensalat der Prominenz gibt es durchaus Bewegung, Erfolg wird in Follower gemessen.
Denn grundsätzlich steht bereits zu Beginn das Ende des Märchens fest. Bei RTL ist das Happy End der Beginn einer neuen Staffel. Neue Prinzen, neuer Fame, neue Quoten.
Diesmal brach mein Herz bereits im Finale - ich warte nicht auf die Werbung.
Aber wenn sie nicht gestorben sind, dann werben sie noch heute.
#gedankensplitter
Die Lüge
Mit der Wahrheit ist das ja so eine Sache. Die wenigsten wollen sie hören oder können diese ertragen.
Denken wir nur an die Novelle über die Lüge, die Wahrheit, den Brunnen, das Baden und den Diebstahl der Kleider.
Das beste Zitat welches ich jemals zu diesem Thema gelesen habe klingt in meinem Ohr noch lange nach: „Mit der Lüge kommst Du durch die ganze Welt, aber nie wieder zurück.“
Immer wieder ist man erstaunt, dass Menschen, die über sich selbst sagen: „Fake it till you make it.“ auch noch Erfolg haben.
Je länger man allerdings darüber nachdenkt, desto ehrlicher sollte man in diesem Punkt sich selbst gegenüber sein - und dann wird einem bewusst: Im Grunde war die Welt schon immer so. Wer die schönsten Seifenblasen produziert, der wird geachtet und geschätzt. Wer diese zum Platzen bringt ist Person non Grata.
Da die Menschen lieber in ihrem Schloss der Lügen und Illusionen wohnen, als auf den Boden der tatsächlichen Wahrheit, wird geächtet wer dies nicht beachtet.
Zwar liebt die Sensationsgier eines jeden den Königsmord, aber niemand die Königsmörderin.
Und die Erklärung für dieses Phänomen ist ganz einfach: Niemand gibt gern seine eingerichtete Komfortzone her beziehungsweise auf. Sie fühlt sich wie ein sicheres Stück geborgene Heimat an.
Was bleibt sind die gesellschaftlichen meinungslosen Lemminge, die alle zielgerichtet wider besseren Wissens in den Abgrund der Nichthaltung taumeln, denn von Rückgrat ist weit und breit keine Sicht. Die Moral von der Geschichte:
„That’s it. Life is so simple.“
Was jedem einzelnen grundsätzlich bleibt ist die Entscheidung, welcher Fraktion man angehören möchte: Schaumläger respektive Seifenblasenbläser versus Wahrheit und Pflicht.
Um es mit den Worten meiner klugen 101jährigen Oma zu sagen: „Der Gesellschaft täte es gut sich häufiger daran zu erinnern, sich selbst im Spiegel ertragen zu können.“
Aber da sind wir dann ja auch schon wieder bei der allgegenwärtigen und bekannten Mogelpackung.
Wie war das noch mal mit der Bedienung des eigenen Verstandes?
#gedankensplitter
Ghosting
„Welche DatingApps kannst Du aktuell empfehlen?“ - ein guter Freund schien in Not und ich suchte Antwort auf seine Frage.
First of all: DatingApps - wir alle kennen und nutzen sie. Auf paarship verliebt sich alle elf Sekunden EIN! Single - reicht dann auch nicht für ein glückliches Paar. Wir betreten diesen Supermarkt der Eitelkeiten - man richtet sich seine Beuterasterfandung ein, der Mensch als Ware - alles andere wird ausgeblendet. Sollte mal ein guter Freund dem Fahndungsprofil entsprechen, wird er kurzerhand blockiert. Ja wir können mit der ganzen Stadt ins Bett springen, aber nicht mit unseren guten Freunden. Und bevor wir darüber nachdenken müssen, warum ein Freund nicht der Freund ist, hält uns die Blockierung Komplikationen vom Leib. Wie praktisch.
Und zugleich schreiben wir mit Gott und der Welt - jedesmal sind wir kurz davor, dass es endlich konkret wird. Wider besseren Wissens passiert das Unausweichliche: Im Moment von „Adresse&Uhrzeit“ stirbt auf einmal die Oma oder der Vogel ist weggeflogen. Aus dem eindringlich beschriebenen „jetzt“ wird nach dem mit Bildern bestückten „(Sex)DateDrehbuch“ ein „irgendwann“.
Das gegenüber hat sich seinen Netflix und Chill-Abend geschwind erotisieren lassen.
Der eigene Handjob - inspiriert durch eine neue Geschichte - soviel praktischer als nochmal das Haus verlassen müssen.
Nicht selten hört man nie wieder von dieser Person: Entweder sie antwortet einfach nicht mehr - dies nennt sich „ghosting“. Oder man findet den gesamten Chat nicht wieder - dann ist man der Blockierungstaste zum Opfer gefallen.
Ernsthaft Männer - wie dissozial seid ihr?
Im Grunde kann ich meinem guten Freund nur die Realität empfehlen - da gibt es auch keine kopflosen Profile - und hoffentlich mehr geistreiche Gespräche.
Was zählt: Das Gesamtpaket - Attraktivität ist mehr als ein schönes Foto. Das reale Leben ist eher filterfrei als mogelfrei.
Jungs und Männer: Machen wir 2023 zu einem REALEN Jahr.
Als ich nun meinen guten Freund fragte, warum er überhaupt meinen Tipp benötigt, offenbarte er mir: Er hätte sich so oft bei Tinder an- und abgemeldet - Tinder hätte ihn blockiert. Fazit: Wer es wagt, die App zu ghosten wird blockiert.
#gedankensplitter
Alle Jahre wieder
Alle Jahre wieder
Bei diesen drei Worten muss ich schmunzeln und direkt an diese völlig surreale Szene in meinen Sommerurlaub auf Sylt denken. Westerland, die Punks, ich und die kognitive Dissonanz.
Mittlerweile schreibt der Kalender Dezember - und die Worte bekommen ihre wahrhafte alljährliche Bedeutung: Für gewöhnlich endet die Zeit der Besinnlichkeit alljährlich im Heiligen Abend.
Die jährlich aufs Neue beschworene und vorgenommene familiäre Gesamtharmonie ist nur meistens schneller dahin, als die erste Ladung Kerzen am Christbaum heruntergebrannt ist.
Zu unterschiedlich sind die alltäglichen Routinen, aus denen man sich für ein paar Tage unter den heimischen Tannenbaum gesellt.
Zu groß sind die gepflegten Marotten, die man nicht schafft für den familiären Frieden beiseite zu lassen.
Am Ende ist jeder - unabhängig vom Grad des Harmoniebedürfnisses - doch nur ganz ich selbst und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Bereits Tage vor dem Fest steigt für die Hausherrin - unabhängig ob Haus oder Wohnung - das Stresslevel. Es gilt die eigenen vier Wände für den Besuch auf Hochglanz zu polieren.
Nebenbei wird die härteste Disziplin erledigt: Tanz der überfüllten Einkaufswägen im Supermarkt.
Die Einkäufe endlich nicht nur daheim, sondern auch verstaut, ist sie in Gedanken beim Speiseplan. Ohne sich dagegen zu wehren beschleicht sie heimlich der Gedanke: „Corona hatte auch seine guten Seiten - aber das darf man ja gar nicht laut äußern.“
Und dann fallen sie ein, die Kinder von nah und fern. Ach irgendwie schön, doch alle wieder daheim - nur der eine Junior hat sich für dieses Jahr rausgenommen. Sprach etwas von mentaler Stabilität. Ja wie findet man denn das? Weihnachten gehört man doch zusammen! Er sieht es anders.
Frau Mama steht in ihrer Küche schrubbt und poliert das Geschirr des Zweiten Weihnachtstages per Hand - natürlich wurde mit Silberbesteck getafelt - hübsch aber nicht Spülmaschinen geeignet.
Die Kinder sind bereits wieder aus dem Haus - der Sohnemann bringt das Tochterherz nebst Freund zum Bahnhof.
Und so steht sie da und schrubbt und poliert und schwört bei sich: „Der Jüngste hatte nicht ganz Unrecht. Nächstes Jahr verreise ich.“
#gedankensplitter
Pobe2022-MPX-Quarantäne&Stigmata
Was folgt ist die wohl bislang persönlichste aller Kolumnen. Inspiriert wurde ich von dem großartigen Lars Tönsfeuerborn. Seine „AffenpockenOffenbarung“ hat mir gezeigt, wie schambehaftet mein eigener Umgang damit ist - trotz oder obwohl ich offen positiv lebe. Dies ändert sich genau jetzt:
Anfang Juli 2022 war ich auf dem Weg zu den Positiven Begegnungen 2022 in Duisburg - endlich.
Vier Jahre! Was für eine verdammt lange Zeit.
Natürlich, wie kann es auch anders sein, war es Corona geschuldet, dass die PoBe 2020 in Bremen ausfallen mußte.
Umso größer war nun schon seit Tagen die Vorfreude auf das für mich wichtigste Event des Jahres.
Zu genau erinnere mich noch an 2018 - an das Schutzschild, mit dem ich gestärkt gegen die menschliche Dummheit in Bezug auf HIV damals aus diesem Kongress ging.
Gewaltiges hat sich in meinem Leben und Denken seitdem verändert. Die Zeit des staatlich angeordneten Nichtstun, auch als Lockdown bekannt, habe ich genutzt und ein ganzes Buch über meine beiden Grunderkrankungen - HIV und Bipolare Störung - geschrieben. Mit diesem Buch hatte ich somit vor der ganzen Welt mein Coming out in puncto: schwul, bipolar & positiv.
Neben Mut und Zuversicht ist mein Hauptanliegen Entstigmatisierung. Zu den positiven Begegnungen 2022 fahre ich förmlich als anderer Mensch. Mit mir selbst im Reinen, offen damit lebend.
Als Vorstand der Aidshilfe Baden-Württemberg e.V. , Privatperson und als Buchautor, welcher versuchen wird die PoBe2022 für das „Life+“ festzuhalten.
Im DM Markt am Hauptbahnhof kaufte ich noch schnell einen Coronantest und bestieg mit „Gott sei Dank“ nur einem Strich den ICE. Ich freute mich riesig auf die vier Tage, welche vor mir lagen.
Als Reiselektüre hatte ich mir Jochen Schropp„QUEER as f*ck“ eingepackt, nach den ersten 40 Seiten bekommt dieses Buch direkt eine Huldigung auf meiner Instawall. Was hätten mir solche Worte vor über 20 Jahren geholfen.
Während der Zug sich auf den Weg Richtung Duisburg macht, treffe ich irgendwann nach Mannheim Elke Adler, Jörg Beißel und weitere.
Die PoBe2022 beginnen genau hier im ICE1010 auf dem Weg. Denn das Leben ist immer im Fluß. Stillstand ist Rückschritt.
Das Leben ist manchmal wie ein schlechter Film oder ein nicht enden wollender Moment der „Versteckten Kamera“.
Gerade hatte ich noch in Oberhausen im Kongresshotel eingescheckt und zählte quasi im Geiste die verbleibenden 30 Minuten die mich noch vom Kongress trennen herunter, als auf meinem Handydisplay eine mir nicht bekannte Stuttgarter Nummer leuchtete. Am anderen Ende der Leitung meldete sich das Gesundheitsamt Stuttgart mit den Worten: „Bitte erschrecken Sie nicht.“ Zu spät, schon geschehen.
Was folgte? Das Telefonat katapultierte mich in einen wahr gewordenen Alptraum, aus dem es kein zurück gab. Im Gegenteil, ein weiteres Telefonat später hieß es das für mich.
Mit anderen Worten: „Gehe nicht auf Los, sondern begebe Dich direkt in Deine Wohnung.“ Im Grunde fühlte es sich wie die Gefängniskarte bei Monopoly an, nur es war kein Spiel, sondern die bittere Realität.
Ich konnte es kaum fassen, aber das half mir nicht weiter. Ich musste mich beugen und anstatt mit Hunderten anderen in den Austausch zu gehen war ich dazu verdammt, direkt wieder abzureisen.
Mit FFP2-Maske und Desinfektionsmittel bewaffnet trat ich meine Heimreise an - witzigerweise interessierte es in dem Moment niemanden, dass ich in drei verschiedenen ICE Platz nahm.
Aber was wäre auch die Alternative gewesen, 21 Tage Quarantäne im Kongresshotel? Und wer würde da die Rechnung bezahlen?
Bevor ich mich zum Bahnhof begab, teilte ich an der Rezeption und bei Thomas Schützenberger am PoBe CheckIn den Grund der Abreise mit - ich empfand es als ein Gebot der Fairness. Denn bis das eine Gesundheitsamt dem anderen Bescheid gibt und dann das Hotel informiert ist, darf dann unter Umständen noch die ZimmermädchenCrew und ein neuer Gast meines Zimmers die Quarantäne aufsuchen.
Was mir direkt klar wurde: Affenpocken - da kennt man sich nicht aus und folglich ist das behördliche Spasslevel bei null.
Deutschland raste in den Scheiben der Züge an mir vorbei und in Gedanken trauerte ich um meine PoBe2022.
Verdacht auf Affenpocken - mein Kopf verlor sich in den Weiten der Republik, die gerade an mir vobeizog. 21 Tage Quarantäne lagen vor mir.
Was hatte ich mich auf den konstruktiven Austausch gefreut. Ich verfluchte mich, dass ich am Montag zum Arzt gegangen war, da ich ein Gefühl von Unwohlsein an der Lippe verspürte.
Und nun: Verdacht auf Affenpocken. Es war noch nichtmal zu hundert Prozent bestätigt. Dennoch hieß es Quarantäne - 21 Tage.
In meiner Stuttgarter Wohnung angekommen, durfte ich diese bis auf Weiteres nicht mehr verlassen. Auch nicht nachts, um alleine im Wald spazieren zugehen.
Also saß ich nun in meinem goldenen Käfig und ich kann nur sagen es fühlte sich soviel schlimmer an, als der
Lockdown. Denn draußen fand das Leben statt. Im Lockdown waren wir alle gleichzeitig zum Nichtstun verdammt - jetzt war ich es alleine.
Und fair fand ich diese ganze Scheiße auch nicht: Aus Sorge vor diesen blöden Affenpocken hatte ich bewußt Großveranstaltungen wie den Kölner CSD oder generell unsere aufregende Hauptstadt Berlin gemieden, wie der Teufel das Weihwasser.
Im Spass hatte ich mal gesagt: „Corona hat mich von einer Nutte zur Nonne gemacht.“ - aber irgendwie war etwas dran: Man fand mich nichtmal in Clubs auf Tanzflächen.
Mein Leben fand seit dieser Pandemie bewußt auf den Gastronomieterrassen statt - ob nun abends zum Smalltalk oder morgens zum Frühstück.
In meiner Quarantäne war es damit erstmal vorbei. Ich verbrachte die Tage damit, mich morgens, mittags und abends zu untersuchen. Akribisch suchte ich nicht nur mein Hautbild auf Veränderungen ab, sondern tastete auch an meinen Lymphknoten herum, um zu ergründen, ob diese geschwollen waren. Jedes Mal aufs Neue horchte in meinen Körper. Was ich nicht finden konnte waren Symptome - Gott sei Dank.
Was mich mal wieder bei Laune hielt war mein Pragmatismus - es half ja auch alles nichts.
Am Ende war der Laborbefund nicht eindeutig und ein Zweitabstrich negativ.
Ich wurde zum Präzedenzfall des RKI und meine Quarantäne frühzeitig beendet - denn ohne Befund und ohne Symptome ließ sich diese auch schwer aufrechterhalten.
Aber hier liegt auch der Teufel im Detail: Schriftlich wurde Sie nur verkürzt - alles wurde so formuliert, dass es keinen Fehler auf Seiten des Gesundheitsamtes gab.
Was bleibt waren die in Geld nicht aufzuwiegenden gestohlenen Positiven Begegnungen, 10 Tage „Freiheitsberaubung“, eine zusätzlich zu bezahlende Fahrkarte zurück von Duisburg nach Stuttgart und viel Zeit für mich und die Selbstreflexion.
Denkt man, man hat schon alles durch im Leben, wird man dann doch immer von Neuem überrascht, was alles passieren kann.
Besonders schockiert bin ich darüber, dass die Affenpocken nicht nur in den Medien, sondern auch von Seiten der Ärztin, die den Abstrich gemacht hat, als auch vom Gesundheitsamt gerne als STI unter schwulen Männern dargestellt wird. Mein Einwand, wenn es eine reine STI wäre, bedürfte es ja keiner Quarantäne sondern nur eines Sexentzuges konnten sie alle nicht entkräften. Was bleibt ist die die Frage, was haben wir in über 40 Jahren HIV und AIDS-Entstigmatisierung überhaupt erreicht?
Mein letzter Besuch beim Doktor hat mir nicht nur die Impfung gegen Affenpocken beschert, sondern ebenfalls das Laborergebnis, dass ich es hatte: Corona. Ohne es gemerkt zu haben. Vielleicht bin ich auch generell einfach ein Symptomloser.
2022 - Haltung bewahren.
„Ich habe ihn aus der Gosse gezogen und genau dorthin drücke ich ihn zurück. Nichts anderes hat er verdient.“
Hätte sie mein Buch aufmerksam gelesen, wüsste sie, dass es sich bei dem Gossenwerfer um den Taxifahrer in Hamburg hielt und noch viel wichtiger: Dass ich von alleine wieder aufgestanden bin.
Nun gut, im hohen Alter jenseits von achtzig kann man da schon mal was verwechseln - und zugleich geisterten diese Worte diesen Sommer über mich durch Stuttgart.
Natürlich könnte ich so tun, als hätte ich es nicht gehört, aber:
Wenn eine Bundesverdienstkreuzträgerin, die ihr Kreuz für den Kampf gegen die Stigmatisierung von Menschen, die mit HIV leben und AIDS Erkrankten erhalten hat, sich so über mich, der HIV positiv ist, äußert, ist das in meinen Empfinden nicht in Ordnung - selbst wenn fast die ganze Stadt bemüht ist wegzuhören, um nicht Stellung beziehen zu müssen.
Wie man als Ehrenmitglied der Deutschen Aidshilfe einerseits auf der großen Bühne bei der Trauerminute den Respekt für alle Menschen mit HIV einfordern kann, diesen zeitgleich einzelnen aber verweigert, werde ich niemals verstehen.
Zu hören, dass ich wohl nicht der einzige bin, mit dem sie in über vierzig Jahren so umgegangen ist, tröstet nicht.
Und so haben mich diese gewählten Worte meiner ehemaligen Chefin verletzt und beschäftigt. Was sie aber noch viel mehr haben: Mir deutlich vor Augen geführt, dass ich großes Glück habe - einfach nichts mehr mit ihr zu tun haben zu dürfen.
Das Foto mit der Regenbogentreppe habe ich ausgewählt, weil kein anderes besser zu meinem Jahr 2022 passt:
Denn dieses Jahr war mit das bunteste, abwechslungsreichste und spannendste Jahr meines 42jährigen Lebens und zugleich symbolisiert die Treppe den Auf- oder Abstieg eines Menschen.
Auch wenn meine ehemalige Chefin mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie mich ganz unten sehen will, bin ich die Treppe empor gestiegen.
Meine Erfolge feierte ich über die Stadtgrenzen Stuttgarts hinaus, während sich die Schwabenmetropole nicht immer nett mir gegenüber verhielt.
Die Zeitungen in anderen Teilen der Republik schreiben über mich - auch der Stern hat ein großes Interview zum Weltaidstag mit mir geführt - nur die Stuttgarter Zeitung schweigt - warum auch immer.
Nicht selten habe ich mich gefragt, ob es in der Republik auch andere Städte gibt, in denen es von Opportunisten nur so wimmelt – oder ob das dann doch etwas mit der Mentalität zu tun hat?
Mit meinem Buch bin ich angetreten um Menschen zu helfen: Meine Botschaft sind Mut und Zuversicht. Ich zeige Gesicht um die Themen HIV und Bipolare Störung zu entstigmatisieren.
Neben all den unzähligen positiven Reaktionen schlägt mir auch ganz offenkundig Neid und Missgunst ins Gesicht.
Und zugleich ist gegen Ende des Jahres vieles nicht mehr so, wie es am 01. Janurar 2022 gewesen ist. Aus gut geglaubten Freund:innen sind Personen geworden – die man mehr vom Wegsehen als vom Anlächeln kennt. Mittlerweile geht man sich eher aus dem Weg.
Jede:r wie er mag – für mich ist und bleibt Loyalität der Maßstab innerhalb einer Freundschaft – und auf Verrat kann und will ich nicht.
Nun warte ich getrost auf den anberaumten Termin der Hauptverhandlung beim Arbeitsgericht – denn die Gossenzieher- und drückerin war nicht bereit sich zu vergleichen.
Meine Lesereise geht in 2023 weiter: Es warten Deutschland, Österreich und die Schweiz auf mich . Zürich macht im Januar den Anfang.
Und ja: Ich hatte nicht nur vier gute Jahre in der Tom's Bar sondern auch zwanzig gute Jahre im Schwabenland.
Und zugleich wird es Zeit für Veränderung.
Die Freie und Hansestadt Hamburg wartet auf mich und ich freue mich drauf. Ich tausche den Kessel gegen den Hafen – es könnte nicht besser sein – denn der unbeschränkte Horizont ist das, was zuweilen in Stuttgart fehlt.
#gedankensplitter