Pobe2022-MPX-Quarantäne&Stigmata
Was folgt ist die wohl bislang persönlichste aller Kolumnen. Inspiriert wurde ich von dem großartigen Lars Tönsfeuerborn. Seine „AffenpockenOffenbarung“ hat mir gezeigt, wie schambehaftet mein eigener Umgang damit ist - trotz oder obwohl ich offen positiv lebe. Dies ändert sich genau jetzt:
Anfang Juli 2022 war ich auf dem Weg zu den Positiven Begegnungen 2022 in Duisburg - endlich.
Vier Jahre! Was für eine verdammt lange Zeit.
Natürlich, wie kann es auch anders sein, war es Corona geschuldet, dass die PoBe 2020 in Bremen ausfallen mußte.
Umso größer war nun schon seit Tagen die Vorfreude auf das für mich wichtigste Event des Jahres.
Zu genau erinnere mich noch an 2018 - an das Schutzschild, mit dem ich gestärkt gegen die menschliche Dummheit in Bezug auf HIV damals aus diesem Kongress ging.
Gewaltiges hat sich in meinem Leben und Denken seitdem verändert. Die Zeit des staatlich angeordneten Nichtstun, auch als Lockdown bekannt, habe ich genutzt und ein ganzes Buch über meine beiden Grunderkrankungen - HIV und Bipolare Störung - geschrieben. Mit diesem Buch hatte ich somit vor der ganzen Welt mein Coming out in puncto: schwul, bipolar & positiv.
Neben Mut und Zuversicht ist mein Hauptanliegen Entstigmatisierung. Zu den positiven Begegnungen 2022 fahre ich förmlich als anderer Mensch. Mit mir selbst im Reinen, offen damit lebend.
Als Vorstand der Aidshilfe Baden-Württemberg e.V. , Privatperson und als Buchautor, welcher versuchen wird die PoBe2022 für das „Life+“ festzuhalten.
Im DM Markt am Hauptbahnhof kaufte ich noch schnell einen Coronantest und bestieg mit „Gott sei Dank“ nur einem Strich den ICE. Ich freute mich riesig auf die vier Tage, welche vor mir lagen.
Als Reiselektüre hatte ich mir Jochen Schropp„QUEER as f*ck“ eingepackt, nach den ersten 40 Seiten bekommt dieses Buch direkt eine Huldigung auf meiner Instawall. Was hätten mir solche Worte vor über 20 Jahren geholfen.
Während der Zug sich auf den Weg Richtung Duisburg macht, treffe ich irgendwann nach Mannheim Elke Adler, Jörg Beißel und weitere.
Die PoBe2022 beginnen genau hier im ICE1010 auf dem Weg. Denn das Leben ist immer im Fluß. Stillstand ist Rückschritt.
Das Leben ist manchmal wie ein schlechter Film oder ein nicht enden wollender Moment der „Versteckten Kamera“.
Gerade hatte ich noch in Oberhausen im Kongresshotel eingescheckt und zählte quasi im Geiste die verbleibenden 30 Minuten die mich noch vom Kongress trennen herunter, als auf meinem Handydisplay eine mir nicht bekannte Stuttgarter Nummer leuchtete. Am anderen Ende der Leitung meldete sich das Gesundheitsamt Stuttgart mit den Worten: „Bitte erschrecken Sie nicht.“ Zu spät, schon geschehen.
Was folgte? Das Telefonat katapultierte mich in einen wahr gewordenen Alptraum, aus dem es kein zurück gab. Im Gegenteil, ein weiteres Telefonat später hieß es das für mich.
Mit anderen Worten: „Gehe nicht auf Los, sondern begebe Dich direkt in Deine Wohnung.“ Im Grunde fühlte es sich wie die Gefängniskarte bei Monopoly an, nur es war kein Spiel, sondern die bittere Realität.
Ich konnte es kaum fassen, aber das half mir nicht weiter. Ich musste mich beugen und anstatt mit Hunderten anderen in den Austausch zu gehen war ich dazu verdammt, direkt wieder abzureisen.
Mit FFP2-Maske und Desinfektionsmittel bewaffnet trat ich meine Heimreise an - witzigerweise interessierte es in dem Moment niemanden, dass ich in drei verschiedenen ICE Platz nahm.
Aber was wäre auch die Alternative gewesen, 21 Tage Quarantäne im Kongresshotel? Und wer würde da die Rechnung bezahlen?
Bevor ich mich zum Bahnhof begab, teilte ich an der Rezeption und bei Thomas Schützenberger am PoBe CheckIn den Grund der Abreise mit - ich empfand es als ein Gebot der Fairness. Denn bis das eine Gesundheitsamt dem anderen Bescheid gibt und dann das Hotel informiert ist, darf dann unter Umständen noch die ZimmermädchenCrew und ein neuer Gast meines Zimmers die Quarantäne aufsuchen.
Was mir direkt klar wurde: Affenpocken - da kennt man sich nicht aus und folglich ist das behördliche Spasslevel bei null.
Deutschland raste in den Scheiben der Züge an mir vorbei und in Gedanken trauerte ich um meine PoBe2022.
Verdacht auf Affenpocken - mein Kopf verlor sich in den Weiten der Republik, die gerade an mir vobeizog. 21 Tage Quarantäne lagen vor mir.
Was hatte ich mich auf den konstruktiven Austausch gefreut. Ich verfluchte mich, dass ich am Montag zum Arzt gegangen war, da ich ein Gefühl von Unwohlsein an der Lippe verspürte.
Und nun: Verdacht auf Affenpocken. Es war noch nichtmal zu hundert Prozent bestätigt. Dennoch hieß es Quarantäne - 21 Tage.
In meiner Stuttgarter Wohnung angekommen, durfte ich diese bis auf Weiteres nicht mehr verlassen. Auch nicht nachts, um alleine im Wald spazieren zugehen.
Also saß ich nun in meinem goldenen Käfig und ich kann nur sagen es fühlte sich soviel schlimmer an, als der
Lockdown. Denn draußen fand das Leben statt. Im Lockdown waren wir alle gleichzeitig zum Nichtstun verdammt - jetzt war ich es alleine.
Und fair fand ich diese ganze Scheiße auch nicht: Aus Sorge vor diesen blöden Affenpocken hatte ich bewußt Großveranstaltungen wie den Kölner CSD oder generell unsere aufregende Hauptstadt Berlin gemieden, wie der Teufel das Weihwasser.
Im Spass hatte ich mal gesagt: „Corona hat mich von einer Nutte zur Nonne gemacht.“ - aber irgendwie war etwas dran: Man fand mich nichtmal in Clubs auf Tanzflächen.
Mein Leben fand seit dieser Pandemie bewußt auf den Gastronomieterrassen statt - ob nun abends zum Smalltalk oder morgens zum Frühstück.
In meiner Quarantäne war es damit erstmal vorbei. Ich verbrachte die Tage damit, mich morgens, mittags und abends zu untersuchen. Akribisch suchte ich nicht nur mein Hautbild auf Veränderungen ab, sondern tastete auch an meinen Lymphknoten herum, um zu ergründen, ob diese geschwollen waren. Jedes Mal aufs Neue horchte in meinen Körper. Was ich nicht finden konnte waren Symptome - Gott sei Dank.
Was mich mal wieder bei Laune hielt war mein Pragmatismus - es half ja auch alles nichts.
Am Ende war der Laborbefund nicht eindeutig und ein Zweitabstrich negativ.
Ich wurde zum Präzedenzfall des RKI und meine Quarantäne frühzeitig beendet - denn ohne Befund und ohne Symptome ließ sich diese auch schwer aufrechterhalten.
Aber hier liegt auch der Teufel im Detail: Schriftlich wurde Sie nur verkürzt - alles wurde so formuliert, dass es keinen Fehler auf Seiten des Gesundheitsamtes gab.
Was bleibt waren die in Geld nicht aufzuwiegenden gestohlenen Positiven Begegnungen, 10 Tage „Freiheitsberaubung“, eine zusätzlich zu bezahlende Fahrkarte zurück von Duisburg nach Stuttgart und viel Zeit für mich und die Selbstreflexion.
Denkt man, man hat schon alles durch im Leben, wird man dann doch immer von Neuem überrascht, was alles passieren kann.
Besonders schockiert bin ich darüber, dass die Affenpocken nicht nur in den Medien, sondern auch von Seiten der Ärztin, die den Abstrich gemacht hat, als auch vom Gesundheitsamt gerne als STI unter schwulen Männern dargestellt wird. Mein Einwand, wenn es eine reine STI wäre, bedürfte es ja keiner Quarantäne sondern nur eines Sexentzuges konnten sie alle nicht entkräften. Was bleibt ist die die Frage, was haben wir in über 40 Jahren HIV und AIDS-Entstigmatisierung überhaupt erreicht?
Mein letzter Besuch beim Doktor hat mir nicht nur die Impfung gegen Affenpocken beschert, sondern ebenfalls das Laborergebnis, dass ich es hatte: Corona. Ohne es gemerkt zu haben. Vielleicht bin ich auch generell einfach ein Symptomloser. #gedankensplitter