2022 - Haltung bewahren.
„Ich habe ihn aus der Gosse gezogen und genau dorthin drücke ich ihn zurück. Nichts anderes hat er verdient.“
Hätte sie mein Buch aufmerksam gelesen, wüsste sie, dass es sich bei dem Gossenwerfer um den Taxifahrer in Hamburg hielt und noch viel wichtiger: Dass ich von alleine wieder aufgestanden bin.
Nun gut, im hohen Alter jenseits von achtzig kann man da schon mal was verwechseln - und zugleich geisterten diese Worte diesen Sommer über mich durch Stuttgart.
Natürlich könnte ich so tun, als hätte ich es nicht gehört, aber:
Wenn eine Bundesverdienstkreuzträgerin, die ihr Kreuz für den Kampf gegen die Stigmatisierung von Menschen, die mit HIV leben und AIDS Erkrankten erhalten hat, sich so über mich, der HIV positiv ist, äußert, ist das in meinen Empfinden nicht in Ordnung - selbst wenn fast die ganze Stadt bemüht ist wegzuhören, um nicht Stellung beziehen zu müssen.
Wie man als Ehrenmitglied der Deutschen Aidshilfe einerseits auf der großen Bühne bei der Trauerminute den Respekt für alle Menschen mit HIV einfordern kann, diesen zeitgleich einzelnen aber verweigert, werde ich niemals verstehen.
Zu hören, dass ich wohl nicht der einzige bin, mit dem sie in über vierzig Jahren so umgegangen ist, tröstet nicht.
Und so haben mich diese gewählten Worte meiner ehemaligen Chefin verletzt und beschäftigt. Was sie aber noch viel mehr haben: Mir deutlich vor Augen geführt, dass ich großes Glück habe - einfach nichts mehr mit ihr zu tun haben zu dürfen.
Das Foto mit der Regenbogentreppe habe ich ausgewählt, weil kein anderes besser zu meinem Jahr 2022 passt:
Denn dieses Jahr war mit das bunteste, abwechslungsreichste und spannendste Jahr meines 42jährigen Lebens und zugleich symbolisiert die Treppe den Auf- oder Abstieg eines Menschen.
Auch wenn meine ehemalige Chefin mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie mich ganz unten sehen will, bin ich die Treppe empor gestiegen.
Meine Erfolge feierte ich über die Stadtgrenzen Stuttgarts hinaus, während sich die Schwabenmetropole nicht immer nett mir gegenüber verhielt.
Die Zeitungen in anderen Teilen der Republik schreiben über mich - auch der Stern hat ein großes Interview zum Weltaidstag mit mir geführt - nur die Stuttgarter Zeitung schweigt - warum auch immer.
Nicht selten habe ich mich gefragt, ob es in der Republik auch andere Städte gibt, in denen es von Opportunisten nur so wimmelt – oder ob das dann doch etwas mit der Mentalität zu tun hat?
Mit meinem Buch bin ich angetreten um Menschen zu helfen: Meine Botschaft sind Mut und Zuversicht. Ich zeige Gesicht um die Themen HIV und Bipolare Störung zu entstigmatisieren.
Neben all den unzähligen positiven Reaktionen schlägt mir auch ganz offenkundig Neid und Missgunst ins Gesicht.
Und zugleich ist gegen Ende des Jahres vieles nicht mehr so, wie es am 01. Janurar 2022 gewesen ist. Aus gut geglaubten Freund:innen sind Personen geworden – die man mehr vom Wegsehen als vom Anlächeln kennt. Mittlerweile geht man sich eher aus dem Weg.
Jede:r wie er mag – für mich ist und bleibt Loyalität der Maßstab innerhalb einer Freundschaft – und auf Verrat kann und will ich nicht.
Nun warte ich getrost auf den anberaumten Termin der Hauptverhandlung beim Arbeitsgericht – denn die Gossenzieher- und drückerin war nicht bereit sich zu vergleichen.
Meine Lesereise geht in 2023 weiter: Es warten Deutschland, Österreich und die Schweiz auf mich . Zürich macht im Januar den Anfang.
Und ja: Ich hatte nicht nur vier gute Jahre in der Tom's Bar sondern auch zwanzig gute Jahre im Schwabenland.
Und zugleich wird es Zeit für Veränderung.
Die Freie und Hansestadt Hamburg wartet auf mich und ich freue mich drauf. Ich tausche den Kessel gegen den Hafen – es könnte nicht besser sein – denn der unbeschränkte Horizont ist das, was zuweilen in Stuttgart fehlt.
#gedankensplitter